Riggtrimm mit Peter Schweer
01.01.2010 von IBN
Zunächst mag man sich über die Bezeichnung „7/8“ wundern. Mit Recht, denn diese stammt noch aus der Vergangenheit und wird heute auch meist für 9/10-Riggs verwendet. Es gab vor etwa 40 Jahren in Deutschland die „Kreuzer-Rennformel“, kurz „KR“ genannt. Diese Formel begünstigte es, wenn das Vorstag nicht bis zum Masttopp, sondern nur bis zu 7/8 der Mastlänge über Deck geführt wurde. Inzwischen ist diese Formel passé, trotzdem spricht man langläufig immer noch vom „7/8-Rigg“, gleichgültig in welcher Masthöhe unterhalb der Mastspitze das Vorstag angeschlagen ist.
Der Vorteil der 7/8-Takelung gegenüber dem toppgeriggten Mast liegt vor allem in der größeren Biegemöglichkeit. Das allein ist zwar kein Vorteil, aber durch diese Flexibilität kann das Großsegel den wechselnden Wind- und Wellenverhältnissen besser angepasst werden. Denn: Aus der Sicht eines Aerodynamikers ist ein einmal eingestelltes Profil nur für eine bestimmte Windrichtung, Windstärke und Wellenbild optimal. Ändert sich einer dieser Parameter, dann muss das Segel umgetrimmt werden. Grundsätzlich gilt auf einem Amwindkurs: Bei wenig Wind sollten die Segel bauchig, bei zunehmendem Wind abgeflacht werden.
Aber auch das Wellenbild muss berücksichtigt werden. Je ruppiger die See, desto tiefer, energiereicher sollten die Profile eingestellt werden. Das kostet zwar etwas Höhe, aber: Besser einige Grade abfallen, um schneller durch und über die Wellen zu gelangen, als voller Stolz Höhe stehen. Mit Hilfe des Unterliekstreckers lässt sich das Großsegel lediglich im unteren Bereich beeinflussen. Beim Strecken des Vorlieks wird das gesamte Profil flacher und offener, ebenso bei Mastbiegung, hervorgerufen durch den Achterstagspanner. Die (oberen) Backstagen greifen in Höhe des Vorstagbeschlags an, mit ihnen wird das Vorstag strammgezogen. Wird dieses bei frischem Wind auf einem Amwindkurs nur unzureichend erledigt, dann hängt das Vorliek nach Lee durch; das Vorsegel wird bauchiger, es kann nur schlechte Höhe gefahren werden. Die unteren Backstagen sind etwa auf halber Masthöhe befestigt. Sie werden durch eine Talje mit den normalen, oberen Backstagen verbunden und dienen vortrefflich zur Kontrolle der Mastbiegung. Eine besonders stramm durchgesetzte Talje sorgt für ein sehr bauchiges, eine lose eingestellte dagegen für ein flaches Großsegelprofil.
Der Großbaumniederholer spielt zunächst auf Fahrtenyachten nur raumschots und vor dem Wind eine Rolle. Je härter und je achterlicher es weht, desto strammer sollte dieser durchgesetzt werden. Aber Vorsicht! Wird der Niederholer auf einem Amwindkurs bei stramm durchgesetzter Großschot dichtgeholt, dann können nach dem Abfallen und Fieren der Schot die Niederholerbeschläge überlastet werden. Der Baumniederholer zieht den Baum nicht nur herunter, sondern „schiebt“ ihn auch nach vorn gegen den Mast. Dieser weicht nach vorn aus, so dass eine weitere Großsegel-Profilabflachung erreicht werden kann. Zwei bis drei Spinnakertuchstreifen im Großsegel-Achterliek helfen, die Schot richtig einzustellen. Sie muss auf Amwindkursen und raumen Kursen soweit gefiert werden, dass der obere Streifen überwiegend in Lee nach vorn ausweht. Die restlichen müssen waagerecht nach achtern flattern. Bei zu dichtgezogener Schot kommt es im Achterliekbereich zu Verwirbelungen, mehrere Windfäden klappen jetzt nach Lee und nach vorn. Sechs Wollfäden im Vorsegel-Vorliekbereich (drei an jeder Seite) signalisieren, ob der Rudergänger passend zur Segelstellung richtig steuert.
Sie sind auf einem Amwind- und Raumschotkurs, vor allem bei leichtem, drehendem Wind unentbehrlich. Ihre Funktion: Solange der Steuermann seine Arbeit ordentlich macht, sollten alle sechs Wollfäden annähernd waagerecht nach achtern wehen. Wird hingegen zu hoch gesteuert, beginnen die Luvfäden steil nach oben, gar desolat in alle Richtungen zu flattern. Ist das Boot zu weit abgefallen, dann klappen die Leefäden abrupt nach oben oder nach vorn. Jetzt ist die wichtigere (!) Lee-Windströmung zusammengebrochen. Das Segel steht zwar optisch gut, das Boot aber auch. Warum ist die Leeströmung so viel wichtiger als die in Luv? Nun, ein Vergleich aus der Fliegerei soll dieses verdeutlichen. Ein Flugzeug fliegt hauptsächlich, weil sich auf der konvexen Tragflügel-Oberseite ein kräftiger Unterdruck ausbildet, nicht etwa, weil der Fahrtwind gegen die Unterseite der Tragfläche drückt. In Analogie hierzu ist die konvexe Leeseite eines Vorsegels die entscheidende. Deshalb müssen die drei Wollfäden in Lee auf einem Amwind- und Raumschotkurs stets (!) waagerecht nach achtern am Tuch anliegen.
Die drei in Luv angebrachten Fäden lassen eine zentimetergenaue Schotholepunkteinstellung zu. Ergibt sich beispielsweise folgendes Bild: Der untere Faden weht waagerecht nach achtern, der mittlere schräg nach oben und der obere in alle Richtungen. Dann muss das Achterliek mehr geschlossen, also der Holepunkt nach vorn verlagert werden. So weit, bis alle drei Luvfäden das gleiche Auswehverhalten aufweisen. Dieser wird auf der Schotschiene markiert. Bei Leichtwind sollte jedes Boot nach vorn und nach Lee getrimmt werden. Nach vorn, weil hierdurch das Heck aus dem Wasser herausgehebelt wird. Die vom Wasser benetzte Unterwasserschiffsfläche verringert sich. Das bedeutet: geringere Reibung. Besonders schädlich wirkt sich eine in das Wasser tauchende Spiegelunterkante aus. Das verwirbelte Heckwasser sieht zwar malerisch aus, auch die gurgelnden Geräusche klingen maritim, aber es bremst. Durch den Gewichtstrimm nach Lee und die hiermit verbundene Schräglage fallen die Segel durch ihr Eigengewicht in ihre Profilformen. Jeder Hauch einer Böe kann unmittelbar in Geschwindigkeit umgesetzt werden.
Noch ein Tipp: Die Bewegungen der Crew sollten so sanft wie die einer anschleichenden Katze sein; jede heftige Vibration an Bord bremst. Noch einige Tipps, wie man bei böig auffrischendem Wind gut über die Runden kommt. Folgende Situation: Man segelt eine Regatta, noch 100 Meter auf einem Amwindkurs bis in das Ziel. In Luv signalisiert eine dunkle, bewegte Wasseroberfläche das Herannahen einer kräftigen Böe. Vorsegelwechsel und Reffen des Großsegels lohnen nicht, man ist schließlich kurz vor dem Ziel. Erste Trimm-Maßnahme: Beide Segel werden abgeflacht. Die Böe kommt. Wasser an Deck, der Ruderdruck nimmt drastisch zu. Der Segeldruck im Großsegel-Achterliekbereich muss reduziert werden, also Traveller nach Lee oder Großschot etwas fieren. Es brist weiter auf, wieder hohe Schräglage. Jetzt kann die Großschot mehr oder weniger vollständig losgeschmissen werden. Damit in dieser Situation das Groß nicht übermäßig zu schlagen beginnt: Niederholer dicht. Auf keinen Fall sollte man in solchen Böen die Genuaschot fieren oder gar vollständig lösen.
Das würde eine plötzliche und heftige Luvgierigkeit mit anschließender Bootspirouette zur Folge haben. Noch 30 Meter bis zum Zieldurchgang, die Böe legt zu, Wasser an Deck. Jetzt gibt es noch eine Möglichkeit, aufrechter zu segeln. Der Segeldruckpunkt des Vorsegels muss nach unten getrimmt werden. Der Schotholepunkt wird nach achtern geschoben. Das funktioniert in der Regel nur bei frei beweglichen, nichtrastenden Schotschlitten. Durch die Verlagerung wird das Segel im unteren Bereich extrem flachgezogen (geringere Krängung). Noch viel wichtiger ist: Das Achterliek öffnet sich mächtig, das Segel verwindet nach oben hin. Im Kopfbereich baut sich Druck ab, hier war die krängende Wirkung am größten. Das Boot segelt wieder aufrechter und ist jetzt hoffentlich im Ziel, denn weitere Trimm-Maßnahmen kenne ich auch nicht. Abschließend noch ein Tipp zum Trimmen einer Rollreffgenua. Wird diese teilweise aufgerollt, gerefft, dann muss der Schotholepunkt nach vorn verlagert werden. Ansonsten wird das Boot luvgierig. Ich empfehle, auf das stufenlose Reffen zu verzichten. Stattdessen markiert man sich drei Reffstufen am Genuaunterliek und die dazugehörigen Holepunkte auf dem Seitendeck.