Wetter am Bodensee

Woher kommt das Wetter? Wie wird es morgen?

19.11.2010 von Michael Häßler

Dieses Thema beschäftigt die Menschheit genauso lange wie Fragen der Fortpflanzung und der Nahrungsaufnahme. Himmlische Mächte und auch irdische Geschöpfe müssen deswegen seit Menschengedenken als „Prügelknaben“ herhalten. 

Vor allem, wenn sich das Wetter nicht in der gewünschten Form präs-entierte: Der ehrwürdige Petrus, dem bei der Siegerehrung gern die Schuld in die Schuhe geschoben wird, kann jedoch ebenso wenig dafür, dass der Wind fehlte wie die Dame von der Wetterkarte im Fernsehen.

In meteorologischen Kreisen weiß man schon seit längerem, dass in erster Linie die Grenzschicht zwischen polarer Kaltluft und subtrop-ischer Warmluft die Tiefs und Hochs verursacht. Und das Meiste unter-liegt hier dem Zufallsprinzip. Dazu kommt die Sonne, die auch noch ihre Finger im Spiel hat sowie topografische Gegebenheiten. Diese sind vor allem am Bodensee, der bekanntlich von Bergen eingerahmt ist (Alpen und Schwarzwald), maßgeblich am Wettergeschehen betei-ligt. Bei solch komplexen Zusammenhängen wäre selbst ein Heiliger wie Petrus zudem auch bald überfordert.

Globale Windsysteme

Auf der Nord- und Südhalbkugel gibt es jeweils drei verschiedene Windzonen. Die Passatzone mit subtropischer Warmluft sowie die polare Hochdruckzone. Dazwischen liegen die so genannten gemäßigten Breiten. Hier bewegt sich der Höhenwind, der auch als Jetstream bekannt ist, von West nach Ost. Hochs und Tiefs entstehen abwechs-elnd, da dieser Wind nicht geradlinig, sondern in Wellen über die Grenze von polarer Kaltluft und subtrop-ischer Warmluft fließt. Dadurch entstehen Wirbel zwischen den beiden Zonen. Geburtsstätten zahlreicher Tiefs.

Hoch und Tief

Diese Tiefdrucksysteme „saugen“ die Luft nach oben. In einem Hochdruckgebiet sinkt sie wieder ab. Das Tief zieht von unten weitere Luft nach. Sie strömt in einem Winkel von etwa 30 Grad zu den Isobaren, gegen den Uhrzeigersinn in den Tiefdruckwirbel. Aus der Unterseite des Hochdruckwirbels strömt sie in einer Drehung im Uhrzeigersinn heraus. Über See wird der Wind nicht so stark abgebremst wie über Land. Darum beträgt der Winkel zu den Isobaren etwa 15 Grad.

Durchzug eines Tiefs

Die Zuggeschwindigkeit eines Tiefs beträgt in der Regel 15 – 20 Knoten, in Ausnahmen bis zu 50 Knoten. Unsere Breiten werden von der äquatorialen Flanke der Zyklone, also der südlichen Seite mit den Fronten, passiert. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es die „Lehrbuchzyklone“ tatsächlich fast nur im Lehrbuch gibt, denn nach ihrem weiten Weg vom Atlantik bis an den Bodensee sieht diese schon etwas „gerupft“ aus. Das Aufziehen einer idealen Zyklone, wie das Tief von den Meteorologen auch genannt wird, beginnt mit der Warmfront und lässt sich am Wolkenbild erkennen.

Die Warmluft gleitet auf die am Boden liegende Kaltluft keilförmig auf und kühlt ab. Der enthaltene Wasserdampf kondensiert und wird als Zirrus-Bewölkung sichtbar. Dies sind streifenförmige, fasrige Eiswolken, die an ihrem östlichen Ende zu einem Haken ausgebildet sind. Die Zirren befinden sich in großen Höhen zwischen 9000 und 12 000 Metern. Mit dem Heranziehen des Tiefs verdichtet sich die Bewölkung zu einer geschlossenen Stratusschicht. Der untere Rand der Wolken wird immer niedriger (keilförmig). Es fängt an zu regnen. Vereinzelt treten auch Gewitter auf. Im weiteren Verlauf lockert die Bewölkung im Warmluftsektor manchmal auf, der Wind ist gleichmäßig.

Die Kaltfront kündigt sich durch dichte Quellbewölkung an.

Sie ist in ihrer horizontalen Ausdehnung nur etwa ein Drittel so groß wie die Warmfront, so dass das Geschehen schneller und heftiger abläuft. Der Wind ist stark böig. Auch können Gewitter auftreten. Bei einem älteren Tief, wenn die Kaltfront die Warmfront schon eingeholt hat, spricht man von Okklusion. Je nachdem, ob die Luft der Okklusion wärmer oder kälter als die davor liegende ist, kommt es zu Aufgleit-vorgängen mit Warmfrontcharakter oder zu Einbrüchen wie bei einer Kaltfront.

Gewitter

Hier unterscheidet man zwischen Frontgewitter und Wärmegewitter. Frontgewitter entstehen, in dem sich Kaltluft unter Warmluft schiebt und diese schnell nach oben hebt. Wärmegewitter entstehen, wenn feucht-warme Luft, durch Sonnenstrahlung über dem Land erwärmt, nach oben steigt.

In einer gewissen Höhe kondensiert das Wasser, wodurch Energie abgegeben wird. Die Luft erwärmt sich dadurch noch stärker, steigt höher und kondensiert weiter, bis diese an der Tropopause, der Grenzschicht zur Stratosphäre, anstößt. Die Luft verteilt sich an dieser kaum durchdringbaren Schicht, wo eine Tempe-ratur von – 60 bis – 70 Grad Celsius herrscht. Der markante Amboss aus Eiskristallen entsteht. In dem Wolkenturm findet eine permanente Auf- und Abwärtsbewegung von Luft, Wasser und Eis statt. Die Wassertropfen und Eiskristalle stoßen gegeneinander, verbinden sich und werden größer und schwerer. Nach einiger Zeit kann deren Schwerkraft nicht mehr von der Energie des Aufwinds überwunden werden. Dadurch fallen die gewaltigen Wasser- und Eismassen zur Erde und „reißen die Luft mit“.

Diese kalte Luft klatscht aus großer Höhe auf die Erde und verteilt sich in alle Richtungen. Dadurch ent-stehen die heftigen Böen. Kurze Zeit später zieht der Bereich der Niederschläge durch. Bei einem Wärme-gewitter ist der Spuk nach relativ kurzer Zeit vorbei und das ganze System bricht in sich zusammen. Die elektrische Energie für Blitz und Donner entsteht durch Ionisierung der Luft.

Allerdings kommt ein einzelnes, für den Wassersportler einschätzbares Gewitter, selten vor. Meist haben sich um eine Gewitterzelle mehrere „Tochterzellen“ gebildet. Die einzelne Zelle durchläuft verschiedene Stadien, in welchen sie Energie speichert und an die Nebenzellen weitergibt. Dann löst sie sich auf. So entsteht unter Umständen ein riesiger Gewitterkomplex. Dieser zieht, mit einer typischen Geschwindigkeit von etwa 35 km / h, mit den Höhenwinden üblicherweise in nordöstliche Richtung. Deren Richtung kann an den Wolken in sehr großen Höhen erkannt werden. Allerdings spielen auch topographische Verhältnisse eine Rolle, so dass man eine lange Zeit der Übung und Beobachtung braucht, um das lokale Wetter richtig einschätzen zu können.

Eine seltene, jedoch äußerst bedrohliche Ausnahme stellen die Ostgewitter am Bodensee dar. Eine Gewitterzelle, meist über dem Allgäu, wird aufgrund von bestimmten Winden nach Westen über den See getrieben. Dies ist für alle Wassersportler das Signal, schnellstens zu verschwinden. Erfahrungsgemäß gehören diese Gewitter immer zu den heftigsten, die in unserer Region zuschlagen.

Woran erkenne ich ein Gewitter?

Zunächst an der Höhe der Wolke. Der britische „Wetterguru“, Alan Watts, hat eine Faustregel formuliert, die besagt, dass eine Kumuluswolke, die höher als ihr Abstand zur Erde ist, grundsätzlich als verdächtig gilt. Gewitterwolken im reifen Stadium haben die typische Ambossform. Das energiereichste Stadium ist kurz bevor sich der Amboss bildet. Gewitterfronten besitzen eine große horizontale Ausdehnung. Dadurch ist es kaum möglich, dem Wetter auszuweichen. So richtig heftig wird das Ganze, wenn diese Frontgewitter am Nachmittag durch feuchtwarmes Wetter noch zusätzlich „angeheizt“ werden.

Thermik

Morgens wird das Land von der Sonne erwärmt, wodurch Luft aufsteigt und von kühlerer Seeluft ersetzt wird, die sich dann über Land wiederum erwärmt und aufsteigt. Abends geschieht das Ganze in der umge-kehrten Reihenfolge. Das Land kühlt sich ab, während der See die gespeicherte Wärme abgibt. Dieser Effekt ist um so stärker, je weiter man sich unter Land befindet. Während an den Küsten und vor allem auf einigen Alpenseen durch Thermik und Berg-Tal-Winde beachtliche Windgeschwindigkeiten verursacht werden, spielt sich die Sache am Bodensee eher bescheiden ab. Aufmerksame Segler können diese thermischen Vorgänge nicht nur bei Regatten geschickt für sich nutzen. In den Zeiten, als es noch keine Motoren auf dem See gab, wurde dieser Wind als „Heimschieber“ von den Seglern erwartet.

Föhn

Der markante Alpenwind kommt nicht nur am Bodensee vor, sondern überall, wo Luft über eine quer stehende Gebirgskette geschoben wird. Ein Tief, nördlich der Alpen, saugt die Luft vom Mittelmeerraum an. Diese wird über die Alpen geschoben. Dort wird die Luft, wie in einer Düse, beschleunigt, da diese nicht unbegrenzt nach oben ausweichen kann, sondern an der Tropopause „ansteht“. Beim Aufstieg wird feuchte Luft um ein halbes Grad Celsius pro 100 Meter abgekühlt. Die Feuchtigkeit kondensiert. Am Gipfel erscheint kalte trockene Luft. Diese erwärmt sich, aufgrund der abgegebenen Feuchtigkeit, nicht um ein halbes Grad pro 100 Meter Höhenunterschied, sondern doppelt so hoch, um ein Grad. Durch Düseneffekte in den Tälern wird die extrem trockene und warme Luft zusätzlich noch beschleunigt. Über dem offenen See verlangsamt sich die Windgeschwindigkeit jedoch rasch wieder.

Dem Segler, der mit seinem Boot gegen den Föhnsturm ankämpft, ist die Physik vermutlich ziemlich wurst. Er hat andere Sorgen. Was sind denn nun die Vorzeichen? Außer dem eingangs beschriebenen Tiefdruckgebiet, das im Wetterbericht gemeldet wird, herrscht außergewöhnlich klare Sicht. Die Landschaft scheint zusammenzurücken. Durch den fehlenden Dunst beherrschen klare kräftige Farben das Bild. Über den Bergkämmen sind linsenförmige Wolken, die so genannten Föhnfische sowie die Öffnung dazwischen, das Föhnfenster, sichtbar. Ob und wann ein Sturm losbricht, kann vom See aus nicht vorhergesagt werden. Dies kann ziemlich plötzlich passieren.

Westlich von Romanshorn tritt praktisch kein Föhn mehr auf. Dies heißt aber nicht, dass dies ausge-schlossen wäre. Vor einigen Jahren war Föhnluft sogar von der Wetterstation in Sipplingen gemessen worden. Die Häufigkeit ist im Sommer geringer als im Frühjahr und Herbst. Es kommt hier jedoch auch vor, dass der warme Föhn in einiger Höhe über die auf dem Wasser liegende Kaltluftschicht hinwegrast, ohne die Oberfläche zu berühren.

Wettervorhersage

Wie kann man als Wassersportler auf dem Bodensee dafür sorgen, dass das Wetter keine große Unbekannte bleibt? Der wissenschaftliche Leiter der Wetterwarte Stuttgart, Klaus Sturm, empfiehlt, sich ein solides Wissen über Meteorologie anzueignen. Neben den Grundlagenkenntnissen über Wetterkunde, wozu es hervorragende Literatur auch für Laien gibt, ist vor allem ein häufiges Überprüfen der eigenen Einschätzungen wichtig. Nur so wird man Sicherheit erlangen. Einen Wetterbericht zu hören, gehört zur Vorbereitung eines Segeltages. Wenn man weiß, nach welchen Wettersituationen man Ausschau halten muss, erleichtert dies die Sache erheblich.

Einige erfahrene Bodenseeskipper wissen nach einem Blick aus dem Fenster, mit welchem Wetter sie rechnen können. Diese brauchen sicher keine Sturmwarnung. Der Sturmwarndienst möchte jedoch allen Anderen Entscheidungshilfen anbieten. Was der Schiffsführer im konkreten Fall unternimmt, bleibt jedoch allein seine Sache (zumindest bis zur Novellierung der Bodensee-Schifffahrtsordnung 2002). Die Stark-wind- oder Sturmwarnung wird ausgelöst, wenn bis zum Eintreffen von Spitzenböen über 25 bzw. 33 Knoten Windgeschwindigkeit noch etwa eine Stunde Zeit bleibt. Speziell bei Gewittern ist ein solches Zeitfenster jedoch oft nicht realisierbar. Um eine Fehlmeldung zu vermeiden, wird erst gewarnt, wenn einigermaßen feststeht, dass die Böen auch tatsächlich über den See hinweg ziehen. Klaus Sturm gibt zu bedenken, dass auch eine professionell erstellte Wetterprognose immer einer gewissen Wahrscheinlichkeit unterliegt und niemals absolut sein kann.

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