Boris Herrmann und Ryan Breymaier im Ziel in Barcelona frenetisch gefeiert
Barcelona, 11.04.2011 von IBN
Es war zum Schluss der 25.200 Seemeilen langen Kursstrecke, das sind rund 46.500 Kilometer, fast als wolle das Meer die beiden Protagonisten nicht wieder her geben. Eine zähe Flaute lähmte das Vorankommen vor der sonnenverwöhnten Mittelmeerküste. Doch das jüngste Duo im Feld der 14 gestarteten Boote, von denen fünf aufgeben mussten, nutzte jede noch so zarte Windbö, um ihre Rennziege dem Ziel entgegenzusteuern. Auf der magischen Linie machte der 29-jährige Herrmann an Bord im Cockpit einen Luftsprung und zeigte die doppelte Becker-Faust. Der sechs Jahre ältere Breymaier sagte um 17:13 Uhr mit einer Inbrunst voll Stolz, Genugtuung und Erleichterung: „Nun sind wir einmal um die Welt."
Kurz darauf durften nach der Regattaleitung bereits die engsten Angehörigen an Bord. Freundin Arianna Grau aus Barcelona wollte den ihren Seebär nach 100 Tagen Entbehrung gar nicht wieder loslassen. Die Abschiedstränen von Silvester waren Freudentränen gewichen. Mindestens so stolz wie ihr Sohn war Mutter Heide Härtel-Herrmann aus Köln, die nie wirklich Angst um ihn hatte, höchstens ein wenig Sorge: „Boris ist ein cooler Typ, der weiß was er tut, und es nie überreizt." Sie freute sich aber auch besonders, weil er mit dem fünften Rang sein selbst gestecktes sportliches Ziel erreicht hat.
„Dieser Empfang ist überwältigend, mir stockt die Sprache", so der Wahl-Hamburger mit Arbeitssitz in München, „es war und ist so unglaublich schön, aber auch enorm anstrengend." Ausgemergelt sahen sie schon aus, die beiden Strategen, obwohl sie sich durch frühzeitige Rationierung bis zum Schluss kleine Tagesmahlzeiten von 250 Gramm Nudeln aufbewahrt hatten. Am Sonntag herrschte jedoch gähnende Leere im Schapp. Als erstes gab es eine Rolle „Toblerone", für Boris eine Flasche „Beck's" und für Ryan ein „Bud" – jeder aus seiner Heimat ein typisches kühles Bier.
Die Champagnerdusche ließ auch nicht lange auf sich warten. Mit roten Signalfackeln in den Händen ließen sich Herrmann und Breymaier zunächst von ihrer Landmannschaft in den Hafen von Barcelona fahren, nahmen symbolisch die Leinen von den Stadtoberen wieder entgegen, die sie dort am letzten Tag des vorigen Jahres losgeworfen und abgegeben hatten. Um 17.55 Uhr machte die „Neutrogena" am Ponton fest, wo der rote Teppich für die Ankömmlinge ausgerollt war. Dort mussten die Segler viele Hände schütteln. Klaus Kinast, Geschäftsführer des Kieler Yacht-Clubs, war eigens am Morgen aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt angereist, um dem Weltumsegler seines Vereins persönlich zu gratulieren. An Land bekam die Mannschaft einen Lorbeerkranz, einen symbolischen Globus und ein Feuerwerk hoch oben von der Columbus-Statue Barcelonas aus.
„Das wichtigste an so einer Zweimann-Regatta ist der Co-Skipper", beteuerte Boris Herrmann, „wir sind zwar ganz unterschiedliche Charaktere, aber haben uns mit all unseren Launen geachtet und bestens ergänzt." Seine Gedanken waren auch bei den fünf Crews, die es nicht um die Welt geschafft haben. „Das ist ein schweres Los, und wir sind heilfroh, wirklich nonstop rundum gekommen zu sein."
Die nächsten Ziele waren schnell klar und abgesteckt: Essen, Feiern, Schlafen – und dann die Vendée Globe 2012. „Einhand allein um die Welt bleibt mein großer Traum", versicherte Boris Herrmann, „das ist die Krönung im Hochseesegelsport." Für das Unterfangen sucht er noch Sponsoren, 2,5 bis 3 Millionen Euro werden nötig sein.
„Härter geht's dann nimmer mehr", beschrieb der Star der deutschen Hochseeszene die Vendée Globe, „da ist dann niemand mehr als Backup an Bord, weder zum Anpacken, noch zum Unterhalten." Ein Riesenvorteil der Zweimann-Rennen sei, dass jeder im Schlaf wirklich abschalten und sich ausruhen kann. „Wir haben uns gegenseitig 100%ig aufeinander verlassen", so Herrmann, „das war ein wirklich gutes, sicheres Gefühl." Immerhin hatte die Mannschaft erst ein Jahr vor dem Start kennengelernt und zusammengefunden. Sie segelten für den französischen Rennstall Kaïros von Roland Jourdain, der mit demselben Schiff Erfolge feierte, aber wegen Materialschäden nicht um die Welt kam, und seine Schützlinge in Barcelona ebenfalls persönlich in Empfang nahm.
Das gesamte Rennen war ein Wechselbad der Gefühle. Nach mäßigem Start an Silvester hatten sich Herrmann und Breymaier noch im Mittelmeer auf den dritten Platz vorgearbeitet, blieben dann aber vor Gibraltar in einer Flaute mehr als 24 Stunden quasi auf der Stelle liegen und schafften es nicht, in den Atlantik zu gelangen. „Wir haben den Sonnenuntergang zweimal von der selben Position aus gesehen", erinnert sich der Deutsche, „das war so unglaublich frustrierend. Wir befürchteten schon, dass es Tage dauern könnte."
Doch die „Neutrogena" kam wieder in Fahrt und hielt sich auch ums Kap der Guten Hoffnung herum in der ersten Hälfte des Felds. Unvergessen bleibt die Schrecksekunde – oder besser -stunde – als im Südpolarmeer ein Leitung zum Wasserballasttank platzte, mehrere hundert Liter ins Schiffsinnere eindrangen und die Yacht danach noch aus dem Ruder lief. Dabei ging ein Sack mit dem Code-0-Vorsegel über Bord. Herrmann: „Wir fanden es nur wieder, weil ein Albatros drauf saß, sonst wäre es wohl verloren geblieben."
Zwischendurch immer wieder von Reparaturen des Hydrogenerators zur Stromerzeugung gebeutelt, erlebte die Crew bei Neuseeland Sternstunden. Zunächst wurde die Schweizer „Mirabaud" mit Dominique Wavre und Michèle Paret, die später mit Mastbruch aufgeben mussten, nach wochenlangem Zweikampf überholt. Dann erwischte sie in der Cook-Straße zwischen der Nord- und Südinsel auch noch günstige Winde, und rauschte mit bis zu 30 Knoten auf Platz vier vor, weil zwei Gegner in der Hauptstadt Wellington zu Reparaturstopps festlagen. Während der Passage telefonierte Boris Herrmann mit neuseeländischen Freunden vom Etappenhafen des Portimão Global Ocean Race, das er 2009 mit dem Hamburger Felix Oehme gewonnen hatte.
Doch dem Hochgefühl folgte ein herber Tiefschlag. Anfang März gab es auf der 2004 gebauten Ex-„Veolia" einen schweren Materialschaden. Die Dichtungen eines von zwei Hydraulikzylindern, mit denen der tonnenschwere Kiel bis zu 40 Grad nach Luv geschwenkt werden kann, platzten und konnten mit Bordmitteln unterwegs nicht repariert werden. „Wir dachten sofort, das ist das Aus", so Breymaier, „aber das wollten wir nicht akzeptieren." Fieberhaft wurde erst improvisiert, dann notdürftig repariert. Doch es raubte dem Team letztlich die Chance, einen Angriff auf den letzten Podiumsplatz zu starten, den Pachi Rivero und Antonio Piris aus Spanien mit der „Renault" eroberten, die am Ende zweieinhalb Tage schneller waren.
„Wir schwenken den Kiel aus Sicherheitsgründen nicht mehr voll aus", erklärten Breymaier und Herrmann anschließend mehrfach, „das hat uns häufig mindestens einen Knoten Bootsgeschwindigkeit gekostet." Mit ungebrochener Motivation rundeten sie schließlich das legendäre Kap Horn, zufällig zeitgleich mit dem französischen Rekordjäger Thomas Coville auf seinem Mehrrumpfboot „Sodebo". „Das Auftauchen der geheimnisvoll bizarren Silhouette der Felsen von Feuerland bleibt als einer der absoluten Höhepunkte des Rennens im Gedächtnis haften", resümiert der geborene Oldenburger seine zweite Weltumseglung.
Auch ein Bruch der Vorstags kurz hinter Kap Horn, wo die französische „Groupe Bel" mit schwerem Kielschaden aufgeben musste, warf die deutsch-amerikanische Freundschaft nicht aus dem Rennen. Im Schutz einer kleinen Insel Patagoniens wurde das Stag repariert und die Rückreise unbeirrt fortgesetzt. Zwar musste die „Estrella Damm" mit Alex Pella und Pepe Ribes, die ihren Gegnern in Barcelona ebenfalls gratulierten, auf dem Südatlantik vorbeigelassen werden („das hatten wir kommen sehen, konnten uns mit unserem Kielproblem nicht wehren"), doch die Nonstop-Tour wurde konsequent durchgezogen. Auch für ihr zähes Durchhaltevermögen und die ungebrochene Moral ernteten Boris Herrmann und Ryan Breymaier von Experten und Laien allerhöchstes Lob und Anerkennung.