Bequeme Alternative

rollanlage 1

04.03.2011 von IBN

Als in den siebziger Jahren die ersten Fockroller auftauchten, dienten diese nur zum kompletten Einrollen des Vorsegels. Das hatte beispielsweise bei Regattabooten wie dem FD Vorteile, weil auf dem Spinnakerkurs die Genua nicht mehr geborgen werden musste.

 

Als die ersten Rollreffanlagen zunächst vorwiegend in der Charterbranche auf den Markt kamen, reagierten „gestandene“ Segler eher distanziert. Denn die „Wick­el­segel“ waren alles andere als optimal, und die Profile waren bald verzogen, weil Tuch und Schnitt die undefinierten Lastrichtungen nicht aufnehmen konnten. Ein gewobenes Tuch hat nunmal nur zwei Lastrichtungen, nämlich in Kettrichtung und in Schussrichtung. Verlaufen die Lasten diagonal dazu, verschieben sich die Garne im Gewebe zueinander, und das Segelprofil taugt nur noch etwas für Flautengedümpel.
Diesen Schwachpunkt versuchen die Tuchhersteller durch die „Ausrüstung“ des Gewebes zu minimieren. Dabei wird das gewobene Tuch durch einen „Kalander“ gezogen. Das ist eine Maschine mit zwei heißen Walzen, die die Oberfläche des Gewebes etwas ver­dichtet oder zusätzliches Kunstharz zwischen die Garne presst. Solche Segel sind aber, je nach Harztyp, extrem anfällig für Weißbruch und oft nur als Regattasegel in Klassen sinnvoll, in der Mylarfolien verboten sind. Eine weitere Methode, Dia­gonalfestigkeit im gewobenen Tuch zu erreichen, ist eine extrem dichte Webart.
Folie
Das Stichwort ist schon gefallen: „Mylarfolie“ wurde Ende der siebziger Jahre zum Inbegriff von Hightech-Segelsport. Diese klare,  glänzende und transparente Folie hat eine enorme Fes­tigkeit und nur eine sehr geringe Bruchdehnung. Segelprofile aus Mylarfolie zeichnen sich also durch gerings­te Dehnung und somit hohe Formbeständigkeit auch bei großen Lasten aus. Die Hauptlasten werden bei diesen Segeln von verschiedenen Garnen aufgenommen, die in der Richtung der  Hauptlastlinien verlaufen. Kleinere Lasten außerhalb dieser definierten Richtungen werden von der Folie getragen, die sich statisch homogen verhält, also in jeder Richtung gleich belastbar ist.
Mit der Zeit wurden die Folien deutlich weniger knickempfindlich und somit auch für Nicht-Profis und Tourensegler interessant. „Nackte“ Foliensegel sind aber nicht ideal für Rollreff­anlagen, weil die gewickelten Folienlagen aufeinander „kleben“ und Lastkonzentrationen sowie undefinierte Segelprofile im teilaufgewickelten Zustand entstehen. Für diesen Einsatzzweck ist ein Sandwich-Mylar besser geeignet, bei dem auf beiden Seiten der Folie ein dünnes Polyester-Gewebe, so genanntes „Taffeta“ auflaminiert ist. Dadurch kann das gerollte Tuch am Vorstag „nachrutschen“.
Sandwich-Mylar ist ein geeignetes Ausgangsmaterial für langlebige Rollsegel, weil die strukturellen Schwachstellen von gewobenem Material hier nicht beziehungsweise weniger ausgeprägt vorhanden sind oder sich weniger deutlich auswirken.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ein Vorsegel beim Einsatz auf einer Rollreffanlage erheblich mehr belastet wird und die Be­-
las­tungen undefiniert auftreten. Deswegen ist das ro­busteste Material für einen solchen Einsatz gerade gut genug.
Auch früher wurde schon das Vorsegel gerefft. Während der großen Zeit der IOR-Formel war es normal, dass die Genua III (etwa 105 Prozent) über eine Reffeinrichtung verfügte. Das Segel hatte ein zweites Schothorn und eine zweite Halskausch mit entsprechenden Aufdopp­lungen und Verstärkungen. Es wurde bei sehr viel Wind einfach etwas tiefer gesetzt. Insgesamt bot diese Methode deutlich weniger Einschränkungen und Nachteile als ein Rollreff. Vor allem waren die Amwind-Eigenschaften dieser Vorsegel deutlich besser weil das flache Profil erhalten blieb.
Rollanlagen
Heutzutage wird gerollt. Das ist in erster Linie mal bequem und das Vorsegel  muss nicht nach jedem Segeltag zusammengelegt und unter Deck verstaut werden. Es kann auch mal am Liegeplatz angeschlagen bleiben und wird dann mit einer Vorsegelpersenning vor UV-Strahlung geschützt. Besser wird es dadurch freilich nicht. Vor allem wenn das Segel nicht in relativ kurzen Abständen benutzt, gelüftet und getrocknet wird, muss mit Stockflecken und Schimmel gerechnet werden. Vor allem Sandwich-Mylar ist hier anfällig, weil die Folie dampfdicht ist.
Ob der Fockroller klobig über Deck montiert ist oder elegant unter Deck sitzt, ist zunächst eine Frage der Bootskonstruktion. Der Fock­roller braucht etwas Platz, wodurch das Vorstag nicht ganz vorne am Rumpf angeschlagen sein darf. Ist das der Fall, gibt es als guten Kompromiss auch relativ flache Fockroller mit Endlos-Leine. Wichtig ist jedenfalls, dass zwischen Deck und Vorsegel-Unterliek kein offener Spalt klafft. Dort würde ein gewaltiger Randwirbel entstehen und viel Leistung verloren gehen. Das Vorsegel muss unbedingt auf dem Deck aufliegen.
Günstig ist es, wenn der Fockroller beispielsweise im Ankerkasten montiert wird oder in einer anderen Vertiefung unter dem Decksniveau verschwindet. Dann kann er auch problemlos gewartet werden, und man kommt bequem an die Leine, falls sich diese mal verheddert hat.
Praktische Handhabung
„Stufenlos reffen“ versprechen die Hersteller. Sinnvoll ist das aber nicht. Der Grund ist folgender: Wenn das Vorsegel eingerollt wird, ändert sicht der Winkel der Fock­schot und das Achterliek öffnet sich, wenn der Holepunkt nicht gleichzeitig mit nach vorn genommen wird. Deswegen hat es sich bewährt, sowohl das Vorsegel als auch den Holepunkt mit verschiedenen Reffmarkierungen zu versehen, die miteinander korrespondieren. Dann muss nicht lange nach der richtigen Holepunkteinstellung gesucht werden.
Rollgereffte Genuas taugen von Haus aus nicht so richtig zum Kreuzen. Das liegt daran, dass ein Segel keine zweidimensionale Plane ist, sondern ein dreidimensionales Profil hat. Je weiter das Segel um das Vorstag gewickelt wird, um so tiefer wird das Profil hinter dem Vorstag. Der positive Effekt der kleineren Segelfläche wird also durch den gleichzeitig auftretenden Effekt des energiereicheren Profils teilweise „kassiert“. Ein Profil, mit dem man eine gute Höhe fahren kann, ist flach und seine tiefste Stelle liegt im vorderen Bereich. Ein solches Segel ist also ungefähr das genaue Gegenteil von einem rollgerefften Vorsegel.
Die Segelmacher experimentieren mit Latten, Schaumstreifen am Vorliek und anderen Tricks, um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Das kann aber nur teilweise gelingen, und ein herkömmliches Segel wird immer besser stehen als eine Rollreffaus­führung. Wenn man das weiß und sich darauf einlassen kann, ist das kein Problem. 
Die Beliebtheit dieser Anlagen lässt sich auch damit erklären, dass diese bei Charterbooten, Serienwerften und auch in vielen Segelschulen zur Standardausrüs­tung gehören. Viele Segler haben also keine oder nur wenig Erfahrungen mit hoch­wertigeren Segeln und können sich den Umgang
damit nur schwer vorstellen. An der Küste oder auf der
offenen See kommt außerdem niemand auf die Idee, gegenan zu „bolzen“. 
Die Nachteile fallen also nur an einem Binnenrevier richtig ins Gewicht, an dem sich die Wellenhöhe in Grenzen hält.
Man sollte nicht auf die Idee kommen, das Segel an der Kreuz einrollen zu wollen. Dann ist zu viel Druck auf dem Material. Fällt man dagegen auf einen raumen Kurs ab, geht das ohne viel Gewalt vonstatten. Bei sehr viel Wind kann man so weit abfallen, bis das Vorsegel im Windschatten des Großsegels ist. 
Wenn man jetzt die Achterstagtalje noch etwas fiert, entlastet man die Lager der Rollmechanik und kann das Segel ganz leicht einrollen, den Fockholepunkt anpassen und das Boot wieder auf Kurs bringen.

 

Schlagworte

IBN testen