Positionspoker rund ums St. Helena-Hoch
20.01.2011 von IBN
Dabei ist die tagelange Führung der spanischen „Estrella Damm“ mit Alex Pella und Pepe Ribes in der dritten Flaute seit dem Start an Silvester auf 27,8 Seemeilen vor der „Groupe Bel“ der Franzosen Kito de Pavant und Sébastien Audigane zusammengeschmolzen. Boris Herrmann, den einzigen Deutschen im Rennen, hatte es mit Co-Skipper Ryan Breymaier aus den USA wieder besonders gebeutelt. Über Stunden trieben sie mehr als dass sie segelten. Am Donnerstagvormittag (20. Januar) lag die „Neutrogena“ im theoretischen Zwischenklassement nur an neunter Stelle, gut 155 Seemeilen hinter der Spitze.
Boris Herrmann hatte es wohl schon geahnt, als am Vortag in der großen Fangemeinde allenthalben Freude über den vierten Platz der „Neutrogena“ ausgebrochen war. „Noch segeln wir bei leichtem Ostwind schräg von vorn mit neun Knoten, haben aber unweigerlich eine Flautenzone vor uns“, berichtete der geborene Oldenburger vom Kieler Yacht-Club am Iridiumtelefon, „da werden die Positionen sicher ordentlich zusammengeschüttelt.“ Das halbe Feld der 13 im Rennen verbliebenen, internationalen Teams kämpfte mit schwachen Winden, die nordwestlich des klassischen St. Helena-Hochdruckgebiets entstanden waren.
Dies ist das typische, weitgehend stationäre Wettersystem, das die Bedingungen auf dem Südatlantik maßgeblich beeinflusst. Der direkte Weg vom Äquator zum nächsten Wegpunkt auf der fast 25.000 Seemeilen langen Strecke rund um den Erdball, dem Atlantik-Tor südwestlich vom Kap der Guten Hoffnung, würde direkt durch den Kern des Hochs führen und wäre darüber hinaus mit tagelangem Gegenwind verbunden gewesen. Deshalb suchen die Crews die strategisch günstigste Route westlich davon und nehmen einen erheblichen Umweg in Kauf, um schnellstmöglich in die Starkwinde des Südpolarmeers zu kommen, das die Segler Southern Ocean nennen.
Die extremste Route wählten die beiden Topfavoriten der Regatta, allerdings durch unfreiwillige Reparaturstopps im Hafen von Recife/Brasilien zusätzlich forciert. Die „Foncia“ mit Michel Desjoyeaux und François Gabart hangelte sich am weitesten außen vor der brasilianischen Küste entlang und wurde mit frischem Wind für den Mut belohnt. Trotz eines 17-stündigen Aufenthalts an Land, um die bei einer Kollision mit einem unbekannten, schwimmenden Gegenstand im Wasser beschädigte Crashbox (Knautschzone) am Bug zu reparieren, waren die Franzosen am Donnerstag schon Dritte vor der ebenfalls reparierten „Virbac-Paprec 3“ von Jean-Pierre Dick und Loïck Peyron – mit besten Aussichten, noch vor dem Wochenende die Gesamtführung zurückzuerobern.
„Vor solch extremer Taktik ziehe ich den Hut“, meinte Boris Herrmann mit Blick auf den Fleetracker, der die Positionen der Yachten viermal am Tag im Internet reproduziert. „Das hätte ich aus den uns zur Verfügung stehenden Wetterdaten so nicht gewagt.“ Allerdings sei die anhand der verbleibenden Distanz bis ins Ziel – noch mehr als 20.000 Seemeilen – errechnete Tabelle derzeit auch wenig aussagekräftig, relativierte Herrmann die Höhen und Tiefen einer Fahrstuhlmannschaft, durch die große Ost-West-Ausdehnung des Felds werde in völlig unterschiedlichen Windsystemen gesegelt. Das Ranking sei nur eine Momentaufnahme, obwohl es sich moralisch natürlich besser anfühle, Vierter statt Neunter zu sein.
Bis zur dritten Flaute war die Stimmung an Bord der „Neutrogena“ wieder exzellent. „Wenn wir schnell sind und am oberen Limit des Bootspotentials fahren, geht es uns immer gut“, schrieb Ryan Breymaier per Email von Bord, „wenn wir parken und dümpeln, sind wir schlecht gelaunt.“ Besonders gute Laune hatte das Duo am Äquator. Denn der Amerikaner überquerte ihn zum ersten Mal auf hoher See, ein für Seefahrer seit hunderten von Jahren ganz besonderer Moment. Herrmann, der die imaginäre, magische Linie beim Portimão Global Ocean Race 2008 und 2009 überfahren hatte, taufte den kopfüber hängenden Neuling während einer Reggae-Party mit Seewasser aus dem (vorher gut ausgespülten) Kloeimer.
„Ohne Spaß an Bord wäre so eine Strapaze doppelt so hart“, sind sich Herrmann und Breymaier einig, „wir haben ja noch nicht einmal ein Drittel hinter uns.“ Die nächste Herausforderung, der raue Southern Ocean mit schweren Stürmen und eisigen Temperaturen, stehe als nächstes an. „Wir können es kaum erwarten, da unten endlich mal ordentlich Dampf zu machen“, so der Deutsche, „das wird unsere Zeit“. Es sind halt keine Flautenkönige auf der „Neutrogena“ unterwegs.