Digitale Navigation

Kartenasuschnitt

Radolfzell, 16.06.2013 von Michael Häßler

War in früheren Zeiten „Navigation“ fast eine „Geheimwissenschaft“ für Eingeweihte und dieses exklusive Wissen quasi die Lebensversicherung für die damaligen Segelschiffkapitäne, ist das Thema im Zeitalter von Computer und Smartphone praktisch zum Kinderspiel geworden.

Doch wofür braucht man am Bodensee Navigation? Tatsächlich sieht die Sache hier anders aus als bei einer Ozeanüberquerung, wo eine Abweichung in der Größe des Bodensees vor 30 Jahren fast schon „vernachlässigbar“ gewesen wäre.
Solange am Bodensee gute Sicht ist, kann man auf Navigation im Sinn einer Standortermittlung verzichten. Aber schon das Ansinnen eines ortsunkundigen Feriengasts, von Kressbronn nach Horn am Schweizer Ufer fahren zu wollen, erfordert einfache Navigation, auch bei guter Sicht.
Zumindest braucht er die grobe Richtung zum Ziel. Wenn ihm diese niemand zeigt, braucht er einen Kompass und den entsprechenden Kurs. Ist dieser Kurs nicht exakt genug, landet er zwar mit einiger Sicherheit in der Rorschacher Bucht, muss dort aber den Zielhafen identifizieren. Ohne weitergehende Kenntnisse wird er sich mit Hilfe der Navigationskarte und des „Leg an“ an Landmarken versuchen zu orientieren. Auch das ist Navigation.
Irgendwann wird auch dieser Skipper sein Ziel erreichen. Zur Not fragt er bei einem anderen Boot nach dem Weg, was der Autor schon selbst erlebt hat.
Terrestrische Navigation
Nachts sieht die Sache entscheidend anders aus. Dann sind zumindest grundlegende Kenntnisse der terres­trischen Navigation gefragt. Zumindest ist das dann der Fall, wenn man sich auf dem Revier nicht auskennt. Wer in stockdunkler Nacht die Passage zwischen den unbeleuchteten Seezeichen 32 und 33 zwischen der Mettnau und der Reichenau treffen will, muss zumindest eine gewisse Fertigkeit im Umgang mit Peilungen und Kursen haben. Dann kann man sich, mit Hilfe der Karte, an Hafenbefeuerungen und beleuchteten Kirchtürmen ausreichend genau orientieren. Ein Peilkompass, am besten in einem Fernglas eingebaut, ist dafür eine wertvolle Hilfe. Auch das ist Navigation.
Ganz „düster“ sieht es bei Nebel aus. Dann fallen auch Landmarken als Orientierung aus, und es bleibt nur die Möglichkeit, einen Hafen mit Hilfe von Koppelnavigation anzulaufen. Voraussetzung dafür ist, dass man bei guter Sicht aus mindestens zwei verlässlichen Standlinien einen Standort ermittelt hat, die Abweichung der Logge und des Kompasses kennt sowie damit umgehen und exakt nach Kompass steuern kann. Bei Letzterem hilft regelmäßige Übung.
Radarnavigation
Sehr trainingsintensiv ist der Umgang mit einem Radargerät, das für die meisten Sportboote ohnehin zu sperrig ist und auch im digitalen Zeitalter von den Investitionskosten her noch eher einen „großen Brocken“ darstellt. Radar hat aber den Vorteil, dass es nicht nur unveränderliche Dinge wie Uferlinien, Tonnen und Seezeichen abbilden kann, sondern auch andere Boote. Es liefert „echte“ Daten, die dem Skipper für seine Interpretation der Realität behilflich sind. Radargeräte mit „ARPA“- oder „MARPA“-Funktion erfassen nicht nur automatisch Kollisionsgegner und warnen vor kritischen Situationen, sondern führen auch umfangreiche Berechnungen durch, die früher von Hand auf dem „Plotting Sheet“ erfolgten.
Radarbildschirme oder Kartenplotter mit „AIS“ bilden darüber hinaus die jeweiligen Schiffsdaten sowie  Kurs und Geschwindigkeit von anderen Schiffen auf dem Bildschirm ab und warnen bei Kollisionskursen. „AIS“ funktioniert am Bodensee aber nicht, weil dazu Seefunkfrequenzen notwendig wären.
Satellitennavigation
Kartenplotter bilden im Wesentlichen die Navigationskarte des Gewässers ab sowie den aus Signallaufzeiten von Satelliten errechneten Standort des eigenen Bootes. Daneben beherrschen diese Geräte mehr oder weniger umfangreiche navigatorische Berechnungen und bieten Zusatzfunktionen wie ein automatisiertes Logbuch, Wetterdatenlayer oder AIS. Die „Tracking“-Funktion, oft im elektronischen Logbuch hinterlegt, zeichnet die „Versegelung“, die zurückgelegte Strecke auf, die dann als Route abgelegt werden kann. Routen können auch mittels Wegpunkten vor dem Auslaufen erstellt werden.
Weitere Funktionen sind eine „Mann-über-Bord-Tas­te“, mit der sich die momentane Position speichern lässt und das Gerät ohne weitere Bedienung die Crew zum Unglücksort zurückleitet.
Eine technisch ähnliche Funktion ist die Ankerwache, die den Standort des Ankers speichert und die Geschirrlänge als Radius des maximalen Schwoikreises berücksichtigt. Das Gerät gibt Alarm, wenn dieser Schwoikreis verlassen wird.
Auch wenn ein Kartenplotter über umfangreiche Funktionen verfügt, reicht es in den allermeisten Fällen aus, wenn einfach nur der aktuelle Standort und eine Kurs-voraus-Linie angezeigt wird. Diese Funktionen sollten bei einem gut durchdachten System ohne weitere Bedienung nach dem Einschalten zur Verfügung stehen. Je komplizierter die Bedienung des Geräts ist, desto weniger nützt es dem Freizeitskipper in der Praxis. Wenn er eine schnelle Information braucht, kann er nicht erst das Handbuch wälzen oder warten, bis ein aufgrund vieler Funktionen langsames Gerät die Karte wieder „mühsam“ neu aufgebaut hat.
Neben speziellen Kartenplottern verschiedener Hersteller mit speziellen Karten  gibt es auch preiswerte PC-gestützte Lösungen, wie zum Beispiel „Bodensee-Digital“ des IBN-Verlags, das die bekannte Bodensee-Navigationskarte und das Hafenhandbuch „Leg an“ in die Freeware OpenCPN implementiert. Auch die Hafenmeistertabelle kann auf dem Laptop dargestellt werden. Zusammen mit einer preisgünstigen GPS-Maus ist das eine navigatorische Komplett-Lösung, die den Laptop zum Kartenplotter mit sehr umfangreichen Funktionen macht. Man kann den eigenen Laptop mit der Software ergänzt durch entsprechendes Kartenmaterial, auch beim Chartertörn mitnehmen und braucht sich nicht mit ungewohnter Technik auseinandersetzen.
Mit entsprechendem Fach­-wissen kann der Computer auch als Basis für ein
Bordnetzwerk dienen und NMEA-Daten sowohl beziehen als auch liefern.
Smartphone und Tablets
Die neue Technik-Generation setzt zunehmend auf handlichere Geräte, die ihre Daten vorwiegend aus dem Internet beziehen. Genau das ist am Bodensee, wegen der exorbitanten Roaming-Gebühren, aber problematisch.
Vergangenen Herbst ist beim IBN-Verlag „SeaPal“ für iPhone und iPad erschienen. Dieses Produkt ist eine komplette Neuentwicklung und aus der Zusammenarbeit der IBN mit der HTWG Konstanz, der früheren Fachhochschule, entstanden. Es wird permanent weiter ausgebaut. Die kostenlos erhältliche Basissoftware greift zunächst auf verschiedene, ebenfalls kostenlose, aber ungeprüfte Internet-Karten zu und kann damit in aller Ruhe ausprobiert werden. Sagt einem das Produkt zu, empfehlen sich kostenpflichtige Erweiterungsmodule wie beispielsweise die sehr exakt darstellenden IBN-Navigationskarten.
Diese „Offline-Karten“ wer­­-d­en nicht aus dem Netz bezogen, sondern sind auf dem Gerät gespeichert, und eine Datenverbindung ist danach nicht mehr notwendig. Auch ein  Logbuchmodul und ein Törnführer, beispielsweise mit Daten über Gastronomie, Werften und Nautik­shops sind erhältlich. SeaPal ist für weltweiten Einsatz konzipiert, und das Angebot an speziell angepassten, internationalen Karten wird sukzessive ausgebaut.
Kartenmaterial
GPS-Standorte sind sehr genau. Meistens sind sie genauer, als das eine Karte jemals sein kann. Daraus ergibt sich die Frage, wo die Grenzen satellitengestützter Navigation liegen. Es wird wohl niemand auf die Idee kommen, mit zugezogenen Vorhängen am Ruderhaus in den Hafen einfahren zu wollen, und auch bei Nebel liegt die Sichtweite selten unter 50 Meter. Das ist in etwa der Fehlerbereich, den man sicherheitshalber im Auge behalten sollte, auch wenn der Standort in den allermeisten Fällen deutlich exakter dargestellt wird. Das heißt aber nicht, dass die Abweichung nicht auch mal größer sein könnte. Es können sowohl temporäre Ungenauigkeiten aus der Berechnung des Standorts vorkommen, als auch ungünstige Verhältnisse in der Karte vorhanden sein. Beide Effekte können sich addieren.
Die meisten Ungenauigkeiten in der Karte rühren von der „Generalisierung“ her. Also dadurch, dass beispielsweise Seezeichen oder Landungsstege nicht maßstäblich dargestellt werden können. So besitzt beispielsweise die Diagonale eines Seezeichens der IBN-Navigationskarte eine Länge in der Natur von etwa 200 Metern. Stehen in der Natur zwei Seezeichen im Abstand von 300 Metern neben einander, muss die Karte „generalisiert“ werden, denn die Seezeichen können nicht an ihrem tatsächlichen Standort eingezeichnet werden.
Die IBN-Karte ist als „Ras­terkarte“ eine genaue Abbildung jener Karte, die auch auf Papier gedruckt wird. Rasterkarten sind, aufgrund ihrer geringen Fehlerquellen, auch bei der Berufsschifffahrt zugelassen. Der Sicherheitsvorteil gegen­über Vektorkarten ist, dass alle Informationen jederzeit zu sehen sind.
Dagegen werden bei einer „Vektorkarte“ in jeder Zoomstufe verschiedene Informationen „eingespielt“. Das ermöglicht eine „aufgeräumtere“ Grafik mit realistischeren Größenverhältnissen. Der Umgang damit erfordert aber mehr Sorgfalt, weil beispielsweise eine Untiefe erst ab einer bestimmten Zoomstufe angezeigt wird.
Die Karten wiederum können nur so gut sein, wie die Daten, die ihnen zugrunde liegen, aktuell sind. Der Seegrund des Bodensees ist in vielen Bereichen immer in Bewegung, und speziell im Bereich des Rheindamms hat es in den letzten Jahren gravierende Veränderungen gegeben.
Hafeneinfahrten müssen regelmäßig nachgemessen und die Daten gepflegt und auf dem aktuellen Stand gehalten werden. An manchen Stellen, speziell in der Nähe von Bach- oder Flussmündungen und an ausgebaggerten Bereichen, sind solche Messungen nur kurz­fristige Momentaufnahmen.
Aber auch sonst ist es kaum möglich, dauerhaft verlässliche Tiefenangaben im flachen Uferbereich zur Verfügung zu stellen. Auch gibt es keine dauerhaft definierte Position für ein bestimmtes Seezeichen. Das Seezeichen wird so platziert, dass seewärts davon eine Mindestwassertiefe von zwei Metern bei Pegel 2,50 Meter besteht. Wird beispielsweise durch Eisgang ein Seezeichen umgedrückt, muss das nicht automatisch wieder an exakt derselben Stelle geschlagen werden. Es kommt halt wieder auf dieselbe
Tiefenlinie.
Gerade im flachen Bereich oberhalb der Fünf-Meter-Linie kann auf Lotungen nicht verzichtet werden. Es sind keine entsprechenden Daten vorhanden. Diese würden sich, beispielsweise durch die Uferströmung, auch zu schnell ändern.
Im Bereich von Häfen und Landungsstellen ist der Gebrauch eines aktuellen Hafenhandbuchs daher zwingend. Dort sind entsprechend detailliertere Informationen enthalten. Das Hafenhandbuch „Leg an“ ist der „Spezialist“ für die flachen Bereiche und wird in kurzen Abständen aktualisiert. Eine digitale Implementierung des Hafenhandbuchs für SeaPal ist in Vorbereitung.

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