Geeignete Rettungsmittel
19.12.2010 von Michael Häßler
Die IBN-Redaktion hilft als Ansprechpartner gerne weiter. Doch wer eine rechtsverbindliche Auskunft möchte, sollte ebenfalls bei der zuständigen Behörde anfragen und zwar zeitnah. Zeitnah deswegen, weil sich deren Auffassung zum Thema auch mal ändern kann. Kaum akzeptierte ein amtlicher Prüfer vor ein paar Jahren nur noch Rettungswesten mit EU-Label, gerieten etliche Zubehörhändler in Verzückung und machten ihre Kunden per Rundschreiben darauf aufmerksam, dass sie neue Rettungswesten kaufen müssten. Die alten Westen, auch wenn diese noch in der Originalverpackung steckten, seien mangels Akzeptanz durch die Behörden, nicht mehr zulässig.
Eine Weste pro Person
Mittlerweile wurde das Thema wieder entschärft Die Zulassungsbehörden entließen zudem die Sorge um das Rettungsgerät sinnvollerweise wieder in den Verantwortungsbereich des Schiffsführers. Derzeit werden nur so viele Rettungswesten verlangt, wie tatsächlich Personen an Bord sind. Die Regelung, dass ständig so viele Rettungsmittel an Bord sein müssen, wie die maximale Personenzahl in der Zulassungsurkunde nennt, wurde aufgegeben.
Wird ein Boot aber von der Polizei kontrolliert, muss der Schiffsführer zugelassene Rettungsmittel in ausreichender Anzahl vorweisen können (siehe Infobox).
Bootsführer ist haftbar
Die Sorge der Behörden um die körperliche Unversehrtheit ihrer Steuer- und Gebührenzahler ist die eine Seite der Medaille. Die tatsächliche Sicherheit an Bord ist die andere Seite. Gibt es einen Unfall, bei dem nicht genügend Rettungsmittel vorhanden sind, ist in jedem Fall der verantwortliche Bootsführer haftbar. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass für jede Person das passende Rettungsmittel an Bord ist. Passend heißt, dass beispielsweise Kinderwesten vorhanden sein müssen, wenn Kinder an Bord sind. Daran muss man denken, bevor man kleine Mitsegler aufs Boot nimmt.
Bei routinierten Seglern, beispielsweise einer Regattacrew, gehört die Rettungsweste grundsätzlich zur persönlichen Ausrüstung wie das Ölzeug oder die Gummistiefel auch. Das liegt schon im ureigensten Interesse des Seglers, denn wer vertraut sich gerne technischem Gerät an, das er nicht kennt?
Trotzdem ist der Schiffsführer „der Dumme“, wenn ein Unfall passiert. Es fällt auf ihn zurück, wenn der verunglückte Segler seine Rettungsweste vergessen hat oder „nur“ eine Regattaweste dabei hatte.
Wie eine Rettungsweste auszusehen hat, ist nicht genau geregelt. Die Bodensee-Schifffahrtsordnung schreibt „geeignete“ Rettungsmittel mit mindestens 100 N Auftrieb vor.
Bei solcherlei Definition sind natürlich viele hilfsbereite Stellen gewillt, zur Klärung von Unklarheiten bereitzustehen. So hätte beispielsweise die Dachorganisation der Hersteller und Wartungsbetriebe, der „Fachverband Seenotrettungsmittel“ nichts dagegen, wenn Feststoffwesten nur dann „geeignet“ sind, wenn sie maximal zehn Jahre alt sind und dann, unabhängig von ihrem Zustand, ihren Gang durch den Schredder antreten, wie das in einer Verbandsbroschüre empfohlen wird.
Regattawesten oder Schwimmhilfe
So genannte „Jollenwesten“ oder „Regattawesten“ besitzen, mangels Kragen, keinerlei Ohnmachtssicherheit. Sie sind mit dem, nicht mehr aktuellen EU-Label „50 N“ gekennzeichnet und gelten daher als „Schwimmhilfen“.
Trotzdem haben sie ihre Berechtigung: Auf Booten wie Jollen, kleinen Kielbooten oder Trapezyachten ist es einfach nicht möglich, eine Rettungsweste mit Kragen zu tragen, weil man damit überall hängen bleibt. Außerdem muss man in der Lage sein, auch mal unter eine gekenterte Jolle zu tauchen um etwas zu klarieren oder dem Mitsegler zu Hilfe zu kommen. Das geht mit einer 100-N-Weste nur mit sehr viel Kraftaufwand und mit einer größeren überhaupt nicht. Dazu kommt der Auftrieb durch Neopren- oder Trockenanzug. Eine zu große Rettungsweste erhöht das Sicherheitsrisiko in diesem Fall eher, als dass sie es vermindert.
Regattawesten werden deshalb von den Behörden unter bestimmten Umständen akzeptiert. Und zwar dann, wenn es bei dem Bootstyp nicht sinnvoll wäre, eine große Weste mit Kragen zu tragen. Das ist aber Auslegungssache und wird im Einzelfall nicht überall gleich gesehen. Die de facto gesetzgebende Instanz, die Internationale Schifffahrtskommission Bodensee (ISKB), hat lediglich verfügt, dass Jollensegler während Regatten und beim Training keine ohnmachtssicheren Rettungswesten dabeihaben müssen.
Was passiert aber, wenn ein Jollensegler weder zum Wettkampf noch zum Training, sondern einfach nur zum Spaß auf seinem Boot unterwegs ist?
„Dann kommt es auf den Einzelfall an,“ erklärt Ludwig Gebhard vom Schifffahrtsamt Friedrichshafen. Gebhard meint damit, dass bei Booten, auf denen eine ohnmachtssichere Rettungsweste nicht praktikabel ist, diese auch nicht gefordert wird. In diesem Zusammenhang nennt er nicht nur Jollen, sondern ausdrücklich auch sportliche Kielboote wie Star oder Soling. Auch dass die Besatzung dieser Boote aus mehreren Personen besteht, ist für ihn ein Argument, den fehlenden Auftrieb und die Ohnmachtssicherheit nicht so hoch zu gewichten. Dazu kommt für ihn, dass es sich bei Personen die mit solchen Booten unterwegs sind, nicht um Einsteiger handelt. „Wer Starboot oder Soling segelt“, ergänzt er, „weiß was er tut.”
Trotzdem ist die juristische Grenze, wann und wo eine Regattaweste akzeptiert wird, nicht klar definiert. Dazu kommt, dass ohnmachtssichere Feststoffwesten, wenn sie denn tatsächlich diese Bezeichnung verdienen, fast auf jedem Segelboot behindern. Oft kann man sich mit einer Automatikweste behelfen. Das funktioniert aber nur auf Booten, bei denen kein intensiver Wasserkontakt vorkommt. Auf einer Trapezyacht scheidet diese Lösung definitiv aus.
Nicht überall wird das Thema so pragmatisch wie im Bodenseekreis gehandhabt. Gerade österreichische Segler klagen über regelmäßige Meinungsverschiedenheiten mit der Seegendarmerie. Nachdem die langanhaltenden Querelen bezüglich Jollenseglern jetzt geklärt seien und von diesen kein Bußgeld mehr wegen ungeeigneter Rettungsweste erhoben würde, ginge die Behörde jetzt gegen Kielbootsegler vor, die sich etwas „leichter kleiden“. So sei die vielköpfige Besatzung eines Trapezrenners mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, weil diese nur mit Regattawesten ausgerüstet gewesen sei.
Keine Tragepflicht
Auf Nachfrage stellte die Seegendarmerie klar, dass es keine Pflicht zum Tragen der Rettungsmittel gibt. Daher spiele es keine Rolle, was die Segler tatsächlich anhaben, erklärte ein österreichischer Beamter am Telefon gegenüber der IBN. Die Behörde interessiere sich lediglich dafür, ob die in der Bodensee-Schifffahrtsordnung vorgeschriebene Ausrüstung an Bord sei.
Feststoff-Rettungswesten
Keine Akzeptanzprobleme gibt es, wenn das „100-N-EU-Label“ aufgedruckt ist. Ältere Westen, ohne die EU-Bezeichnung, können von den Behörden dann akzeptiert werden, wenn sie in gutem Zustand sind und ebenfalls über einen Auftrieb von mindestens 100 Newton verfügen. Das kann relativ einfach nachgeprüft werden: Die Weste muss ein Gewicht von 10 Kilogramm tragen können. Die landläufige Vorstellung, dass eine Rettungsweste mit Kragen generell „ohnmachtssicher“ sei, stimmt nicht mit der Realität überein. Die EU-Spezifikation relativiert diesen Begriff und unterscheidet zwischen verschiedenen Kategorien. Rettungswesten der „100 N“-Klasse besitzen „eingeschränkte Ohnmachtssicherheit“.
Eingeschränkt heißt, dass sie bei Personen mit Schlechtwetterkleidung versagen können. Was nur der Vorschrift genügt, bietet also keine absolute Sicherheit. Auch die nächst größere Kategorie, mit „150 N“ gekennzeichnet, schafft es nicht in jedem Fall, den Träger in eine ohnmachtssichere Lage zu drehen und die Atemwege vom Wasser freizuhalten. Das schaffen nur Westen der höchsten Auftriebskategorie mit 275 Newton. Diese sind aber so voluminös, dass sie, zumindest auf einem Segelboot, eher als „Zwangsjacke“ taugen und ihr praktischer Nutzen deswegen zweifelhaft ist.
So werden bei der Berufsschifffahrt die großen Feststoffwesten in einer Kiste gestaut, und erst im konkreten Seenotfall angelegt. Sie sind nicht für das dauerhafte Tragen ausgelegt.
Automatikwesten
Wer maximale Sicherheit möchte, kommt daher kaum an der Anschaffung einer automatisch aufblasbaren Rettungsweste vorbei. Bei diesen Konstruktionen kann das Auftriebsvolumen ausreichend groß bemessen werden. Der Auftriebskörper kann auch von seiner Geometrie her kompromisslos für eine optimale Schwimmlage konstruiert werden, weil die Weste erst dann aufgeblasen wird, wenn deren Träger schon im Wasser liegt. Dazu kommt, dass der Verunglückte um so besser gesehen wird, je größer der Auftriebskörper ist und je weiter dieser aus dem Wasser ragt.
Die Automatiken der Rettungswesten sind technisch simpel und zuverlässig. Ein permanent federgespannter Schlagbolzen wird von einer Salztablette zurückgehalten, die sich bei Wasserkontakt sofort auflöst. Daraufhin durchschlägt der Bolzen die Druckgaspatrone, deren Inhalt sich in den Schwimmkörper entleert. Die Automatik ist so konstruiert, dass die Weste eher einmal dann aufgeht, wenn sie das gar nicht soll, als dass sie im Notfall versagt.
Der Hersteller gibt eine Garantie von zwei Jahren auf die Funktionsfähigkeit. Dann muss die Rettungsweste von einem Fachbetrieb gewartet werden und bekommt einen neuen Stempel, der wieder zwei Jahre gültig ist.
Ob man die Wartung seiner persönlichen Rettungsweste in Eigenarbeit durchführt, bleibt einem selbst überlassen. Die Pragmatiker unter den Rettungswestenbesitzern springen halt in regelmäßigen Abständen mal damit ins Wasser, freuen sich darüber, wie zuverlässig die Mechanik auslöst und überprüfen den Auftriebskörper, ob dieser über einen längeren Zeitraum den Druck hält. Danach verpacken sie diesen wieder und ersetzen die Salztablette sowie die Druckgaspatrone.
Erkundigt man sich, beispielsweise auf der Interboot beim Fachverband Seenotrettungsmittel danach, was bei einer solchen Eigen-Wartung zu beachten ist und was man dabei verkehrt machen kann, fällt die Reaktion der Dame hinterm Tresen in etwa so aus, wie man es erwarten würde, wenn man ihr unvermittelt einen Silvester-Böller unter den Hintern wirft. Es tauchen mehrere Male die Begriffe „verantwortungslos“ und „gewissenlos“ auf. Es handele sich bei der Wartung um einen hochkomplizierten technischen Vorgang, erklärt sie, der nur durch intensiv geschultes Fachpersonal und mit spezieller technischer Ausstattung durchführbar sei.
Natürlich hat die Dame in der Sache recht, besonders wenn es sich um Rettungswesten handelt, die auch für die Crew vorgesehen sind. Dann kommt nicht nur die moralische, sondern auch die juristische Verantwortung des Skippers ins Spiel.
Wer möchte die Situation erleben, ein Crewmitglied zu verlieren, das mit einer vom Eigner selbst gewarteten Rettungsweste ertrunken ist? Auch wenn dieses Szenario als hervorragendes „Totschlagargument“ taugt, lohnt es sich kaum, die Kosten für eine professionelle Wartung zu sparen. Viele Skipper scheinen in diesem Punkt aber auf ihre eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. So beklagt sichder Fachverband Seenotrettungsmittel darüber, dass von 200 000 Westen in Deutschland, die pro Jahr gewartet werden müssten, nur 50 000 bei seinen Fachbetrieben auftauchen. In dieser Zahl sind auch die Westen enthalten, die beruflich bei Schifffahrt oder Offshore-Industrie genutzt werden.
Rettungsring
Was landläufig als Rettungsring bezeichnet wird, heißt in der Bodensee-Schifffahrtsordnung „Wurfrettungsgerät“ (siehe Infokasten). Ein solches muss auf Kielbooten und auf Motorbooten mit einer Leistung von mehr als 30 Kilowatt vorhanden sein. Für die Anerkennung der praktischen und an der Küste in vielen Varianten beliebten Rettungsschlingen ist also allein deren Auftrieb maßgeblich. Liegt dieser unter 100 Newton, können sie am Bodensee nicht zugelassen werden. Grundsätzlich taugt ein Rettungsring, der aufgrund seines Platzbedarfs nur ganz unten in der Backskiste untergebracht werden kann, in der Praxis so gut wie überhaupt nichts. Das Rettungsgerät muss mit einem Griff dem über Bord gegangenen zugeworfen werden können. Auch wenn die Leine verheddert ist, vergeht viel Zeit.
Das „Wurfrettungsgerät“ dient übrigens nicht als Schwimmwestenersatz, sondern zum Herstellen einer Leinenverbindung zwischen dem Boot und dem über Bord gegangenen Mannschaftsmitglied. Deshalb ist die Schwimmleine wichtig. Eine Leine, die untergeht, zieht den Rettungring immer zum Boot und vom Schwimmer weg. Gut bewährt haben sich Hufeisenrettungsringe, weil diese etwas besser gestaut werden können als runde Ausführungen.